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Israels Geheimvatikan Band 1 Seite 286-295

Russland entschieden

Kommen wir noch einmal zurück auf das zaristische Rußland, wo bekanntlich zum Jahreswechsel 1913/14 die Militärs in Erwartung des Krieges geradezu verrückt spielten. Die kaum zu bremsende Vorfreude auf das lang ersehnte Kräftemessen äußerte sich hier nicht nur in klar interpretierbaren Aussagen bzw. mehr oder weniger offenen Rüstungsanstrengungen.

Der Chef des deutschen militärischen Nachrichtendienstes von 1912 bis 1918, Oberst Walter Nicolai, schrieb in seinen 1930 erschienen Erinnerungen, daß Rußland im Jahre 1913 den Betrag von 13 Millionen Rubel für seine Spionagedienste ausgab, in den ersten drei Monaten des Jahres 1914 aber allein 26 Millionen Rubel. Welch erstaunliche Beträge dies damals waren, wird klar, wenn man erfährt, daß die deutschen Ausgaben für Spionage und Gegenspionage im Jahre 1913 bei 400.000 Mark lagen, d. h. es wurden 450.000 Mark bewilligt, aber nur 400.000 Mark verbraucht.[636] Das dramatische Ansteigen des russischen Geheimdienstbudgets in den Jahren 1913/14 läßt laut Nicolai rückblickende nur den Schluß, daß sich Petersburg auf die ersten Offensiven vorbereitete.

Ganz auf dieser Linie lag der Umstand, daß am 21. Februar unter dem Vorsitz des russischen Außenministers Sasanow eine Konferenz in Odessa stattfand, bei der die gewaltsame Besitzergreifung der türkischen Meerengen im Falle eines europäischen Krieges vorbereitet wurde.[637]

Dann rief ein Artikel der "Kölnischen Zeitung" eine deutsch-russische Pressefehde hervor; er wies auf die ungeheuren russischen Rüstungen hin, die spätestens in drei Jahren zu einem Krieg zwischen dem Deutschen Reich und Rußland führen würden. Quasi als Antwort stand am 12. März 1914 in der Petersburger "Birschewija Wjedomosti" ("Börsennachrichten) zu lesen:
"Wir stellen hier im Vollbewußtsein der Macht unseres von der ausländischen Presse beleidigten Vaterlandes fest, daß das Hauptziel der Landesverteidigung erreicht ist. Bisher hatte der russische militärische Operationsplan defensiven Charakter; heute weiß man, daß die russische Armee im Gegenteil eine aktive Rolle spielen wird."
Die Hintergründe dieser drohenden Worte erschließen sich aus einem Bericht des deutschen Botschafters in St. Petersburg Friedrich von Pourtales an den Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg vom 16. März 1914:
"Ich halte es für richtig", so Pourtales, "den Russen gegenüber den Artikel nicht Ernst zu nehmen und sich auf den Standpunkt zu stellen, daß er nicht vom Kriegsminister herrühren könne. In Wirklichkeit besteht hierüber nicht der geringste Zweifel. Von sehr gut unterrichteter journalistischer Seite erfahre ich, daß General Suchomlinow den Artikel, und zwar angeblich in einer noch schärferen Form, in dem in ganz Rußland viel gelesenen Blatt Rußkoje Slowo habe veröffentlichen wollen. Dieses Blatt habe jedoch den Artikel abgelehnt, weil er ihm zu scharf gewesen sei. Hierauf sei der Artikel in einer etwas abgeschwächten Form der Birschewija Wjedomosti gegeben worden." [638]
Der deutschen Armeeführung und ihren Aufklärungseinheiten kann die Bedeutung dieser Worte überhaupt nicht entgangen sein, denn der Kriegsminister ließ seiner Geste Taten folgen. Unmittelbar nach Erscheinen des Artikels rollten seit April bereits Truppentransporte aus Sibirien an die russische Westgrenze zum Aufmarsch gegen die Mittelmächte. [639]

Die kalten Krieger im Zarenreich müssen ihrer Sache sehr sicher gewesen sein. Das meint auch der russisch-demokratische Politiker W. W. Antonow. Kurz vor Kriegsausbruch, erinnert sich Antonow, habe er den späteren Ministerpräsidenten Boris Wladimirowitsch Stürmer gesprochen und dieser habe ihm bei dieser Gelegenheit gesagt:
"Alles deutet darauf hin, daß gewisse Kreise mit dem Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch (Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte, der Verf.) an der Spitze auf einen Krieg gegen Deutschland hinarbeiten. Der Ring ist schon fast geschlossen, es fehlt nur noch der äußere Anlaß, den man schon finden wird. Der Kaiser (der Zar, der Verf.) ist zu schwach, um diese Katastrophe zu verhindern." [640]
Der Mordplan

Was Stürmer ahnte, jedoch offensichtlich nicht wußte: Der "äußere Anlaß" war schon längst gefunden. Wir wissen, daß die Russen wiederholt an Belgrad herangetreten waren und darauf hingewiesen hatten, der Verbündete dürfe sich schon einmal auf eine österreichische Konkursmasse vorbereiten. Bekanntlich hatte Außenminister Sasonow im April 1913 dem serbischen Botschafter gegenüber von einem "furchtbaren Kampf" gesprochen, in dem es ganz konkret um Bosnien gehe. Wenige Wochen zuvor hatte Winston Churchill das Datum des geplanten Kriegsausbruch völlig korrekt vorausgesagt. Der Marinechef mag seine Weisheit weniger den Sternen als seinen guten Verbindungen zur Freimaurerei verdankt haben, die - auch davon haben wir gehört - zuvor den österreichischen Thronfolger zum Tode verurteilt hatte. Ein klar denkende Mensch wird aus diesen Zusammenhängen kritische Schlüsse ziehen.

Wer dazu noch nicht bereit ist, dem mag folgender Zwischenfall ein Licht aufgehen lassen: Am 15. März 1914 veröffentlichte das "Neue politische Volksblatt" in Budapest ein Telegramm, das ihm am gleichen Tag aus London zuging und meldete:
"...daß der serbische Kronprinz in London, wohin er eben von Petersburg gekommen war, in der Trunkenheit in Gesellschaft anderer Nachtschwärmer sich gerühmt habe, daß er eben mit Sasanow die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand, wenn dieser seine beabsichtigte Reise nach Bosnien und der Herzegowina mache, arrangiert habe, und daß sie beide überzeugt wären, daß dieser Mord den Krieg zwischen Serbien und Österreich-Ungarn herbeiführen werde. Das Dazwischentreten Rußlands würde automatisch folgen und die unausbleibliche Folge würde sein, daß Deutschland seinen Verbündeten Österreich unterstützen werde, wie Frankreich seinen Verbündeten Rußland." [641]
Zwei Wochen später, am 28. März 1914, konnte der Führer der panslawistischen Bewegung Brancaninow (Brantschaninow) bereits in der "Nowoja Zweno" triumphieren,
"der britische Außenminister Sir Edward Grey habe ihm gesagt, daß England an dem großen Kriege teilnehmen werde. In ein paar Wochen werde der Weltkrieg ausbrechen. Für England bedeutet er einen erwünschten Ausweg aus den inneren Schwierigkeiten." [642]
Noch einmal wenige Tage darauf, im April 1914, stattete derselbe Grey an der Seite seines Königs Georg V. dem französischen Präsidenten Poincaré in Paris einen offiziellen Besuch ab, um im Angesicht der geplanten Provokation die allerletzten Lücken in der antideutschen Einheitsfront zu schließen. Es war das erste Mal seit er Staatssekretär war, daß Grey die britischen Inseln verließ. Der russische Botschafter in Frankreich, Iswolski, wurde zu einigen Treffen des Besuchs hinzugezogen. Ziel der Besprechungen war es, Rußland in ein ähnliches Verhältnis zu England zu bringen, wie es durch die Novemberbriefe von 1912 zwischen England und Frankreich festgelegt war. [643] Die Verhandlungen, die sich auch auf die englisch-russische Marinekonvention erstreckten [644] führten zu einem geheimen englisch-französisch-russischen Militärabkommen, das sich gegen Deutschland und Österreich-Ungarn richtete. [645] Berlin und Wien wurden bewußt nicht gewarnt, daß England sich verpflichtet hatte, in den Krieg einzutreten, sobald einer seiner Bündnispartner darin verwickelt würde. Vielmehr ließ die britische Regierung die deutsche Führung bis zuletzt im Glauben an eine mögliche britische Neutralität. [646]

In den Startlöchern

Mit der Pariser Dreimächte-Konferenz hatte die Politik ihr letztes Wort gesprochen. Von nun an taten die alliierten Verschwörer nichts anderes mehr, als zu warten und die Waffen zu ölen. Der Hauptberater des amerikanischen Präsidenten Wilson, Colonel House, der in diesen Tagen Europa bereiste, faßte bei seiner Heimkehr im Mai 1914 seine Eindrücke in die knappen Worte zusammen: "Wann immer es England zuläßt, werden Frankreich und Rußland über Deutschland herfallen."

Daß London zu diesem Schritt bereit war, zeigte sich ebenfalls im Mai. Während Lloyd George aus offenkundigen Gründen als einer der ganz wenigen noch gebremst haben mag [647], ließ Bruder Marineminister Churchill bereits in Erwartung der kommenden Ereignisse große Teile der britischen Royal Navy probe-mobilisieren. Im Juni vermeldete er voll Stolz: "Während der letzten drei Jahre waren wir niemals bereiter gewesen, als augenblicklich. Niemals war die Flotte stärker als jetzt und niemals hat sie sich in besserer Verfassung befunden."

Anders sah es auch nicht in Rußland aus, wo seit April unaufhörlich Truppentransporte nach Westen rollten. Das Zarenreich hatte es mittlerweile nach eigenen Angaben zu einer Friedensstärke gebracht, "wie sie noch nie ein Staat aufgewiesen hat". Der dies aussprechende Artikel der "Birschewija Wjedomosti", des Organs des Kriegsministers Suchomlinow, vom 13. Juni 1914 berechnete die russische Friedensstärke mit 2,32 Millionen Mann auf das 3fache der deutschen. Er verwies auch ganz offen auf die Anlage von strategischen Bahnen, die den Aufmarsch nach Deutschland erleichterten. Als Kopf führte der Bericht den bezeichnenden Titel: "Rußland ist bereit, Frankreich muß es auch sein." [648]

Das war selbstverständlich der Fall. Mit Ausnahme der eingekesselten Mittelmächte waren alle soweit. Das Opfer konnte zur Schlachtbank geführt werden...


Der Vollzug des blutigen Logenurteils

Serbiens Militär-Geheimdienstchef übernimmt die Ausführung

Die freimaurerisch-alliierte Mordkonspiration gegen Franz Ferdinand von Österreich gewann einen wichtigen Verbündeten, als der Gründer und Leiter der masonisch-terroristischen "Schwarzen Hand" Dragutin Dimitrijevic ("Apis") im Jahre 1913 zum Chef des serbischen Militärgeheimdienst ernannt wurde. Allerspätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte der "Grand Orient" auch festgelegt haben, an welchem Ort die folgenschwere Hinrichtung des Thronfolgers durchzuführen sei. Als es dann tatsächlich soweit war, deuteten die Spuren der Tat auch klar auf Dimitrijewitsch, der - schließlich selbst in der Bredouille - am 28. März 1917 einem serbischen Untersuchungsgericht über das Attentat von Sarajewo zu Protokoll gab:
"Die Hauptteilnehmer an dem Attentat waren alle meine Agenten und erhielten kleine Honorare, die ich ihnen durch Vermittlung des Rade (R. Malobabic) sandte. Einige von ihren Quittungen befinden sich in russischen Händen, da ich das Geld für diese Arbeit im Auslande in erster Zeit vom General Artamanow erhielt." [649]
"Apis" machte diese Aussage im Zuge eines Verfahrens, dem er sich wegen eines weniger opportunen Attentats auf den Prinzregenten von Serbien, Alexander, unterwerfen mußte. Da der Gerichtshof Dimitrijewic und seine Mitangeklagten durch einen Appell an ihre Vaterlandsliebe aufforderte, nicht über den Mord von Sarajewo zu sprechen [650], bleibt die Spur zum russischen Militärattaché in Belgrad, Artamanow, weiter etwas nebulös. Sicher ist, daß dieser sehr wohl gewußt haben muß, was im österreichisch-ungarischen Nachrichtennetz seines Bundesgenossen Apis geplant war. Es fiel in Artamanows unmittelbaren Aufgabenbereich, panslawistische Aktionen, die sich gegen Österreich richteten, zu leiten und zu finanzieren. Er traf sich auch nachweislich persönlich mit Rade Malobabic, Dimitrijewitschs Verbindungsmann zu den Attentätern. Nicht zuletzt angesichts dieser engen Zusammenarbeit kann es kaum überraschen, daß Petersburg die Nachricht über den Mord an Erzherzog Franz Ferdinand bereits mehrere Tage - vorher erwartete. [651]

Sehr wahrscheinlich gab das Zarenreich auch das letztlich entscheidende "grüne Licht" zum Losschlagen. "Apis" gibt nämlich selbst zu, noch im Mai 1914 dem russischen Militärattaché gegenübergesessen zu haben. Artamanow - so der serbische Geheimdienstchef - habe nach Konsultierung vorgesetzter Stellen in Rußland wörtlich gesagt: "Macht weiter! Wenn ihr angegriffen werdet, werdet ihr nicht allein gelassen." [652] Während panslawistische Kreise das Petersburger Außenministerium auf ihre Kriegsziele einschworen[653], habe Dimitrijevic darauf die Mörder nach Sarajewo gelassen.

Genau das suchte der serbische Ministerpräsident Nikola Pasic noch in letzter Minute zu verhindern. Er hatte als Regierungschef im Mai selbstverständlich ebenfalls von dem Attentatsplan Kenntnis. Sicherlich wird er alle Vorbereitungen auch lange Zeit gedeckt haben - zumal das Ausland gedrängt haben mag. Da aber auf der Hand lag, daß das Königreich durch den Coup in eine gefährliche Lage kommen würde, die seinen Untergang zur Folge haben konnte, wurde der Premier zunehmend unsicher. Schwankend wie er war, unternahm er schließlich den unzulänglichen Versuch, den Grenzübertritt der Attentäter zu verhindern, unterließ es aber, die österreichische Regierung davon offiziell in Kenntnis zu setzen. Ebenso lavierend ging Pasic in Österreich vor. Der serbische Gesandte in Wien versuchte den Erzherzog von der Reise abzubringen, ohne das Attentat auf Franz Ferdinand zu verhindern oder den verantwortlichen österreichischen Stellen eine entsprechende Warnung zugehen zu lassen. [654]

So begab sich der Erbe der K+K Monarchie letzten Endes ungebremst auf seine Balkanfahrt. Ironie des Schicksals, daß der Todgeweihte wie kein zweiter Habsburger des Jahrhunderts großes Verständnis gerade für die slawischen Völker der Monarchie hatte. Weit mehr als sie waren die stets nach Vorzugsrechten begierigen, vom Hochmutsteufel besessenen Ungarn für ihn die Feinde. Und soweit man über seine Zukunftspläne überhaupt unterrichtet ist, dachte er daran, dem deutsch-ungarischen "Ausgleich" von 1867 ein Ende zu machen und Österreich-Ungarn in eine Föderation gleichberechtigter Nationalstaaten mit einem Zentralparlament umzuwandeln. [655] Vielleicht spürten das die Menschen, die dem Monarchensohn einen jubelnden Empfang bereiteten.

Am 28. Juni machte der Troß des künftigen Königs in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo Station. Dort standen unter den zahlreichen Schaulustigen die Meuchelmörder. Damit auch wirklich nichts schiefgehen konnte, hatte man die Attentäter in verschiedene Gruppen aufgeteilt, die an geteilten Stellen postiert waren. Man ließ Franz Ferdinand "Spießrutenlaufen". Als der Thronfolger in seinem offenen Auto langsam durch die Straßen fuhr, warf ein Attentäter eine Bombe gegen den Wagen. Der Zündsatz verfehlte jedoch den Erzherzog und landete unter den Rädern des Begleitfahrzeugs, wobei er den Adjutanten und einige Leute aus dem Publikum verletzte. Es gelang, den Erzherzog ins Rathaus zu retten, wo die Deputationen ihn erwartete. Noch einmal gönnte Jahwe der Welt eine kurze Atempause. Es war genau 9.00 Uhr.

Grand Orient - Zwischenfälle am Sonntag den 28. Juni 1914 in London

Am gleichen Vormittag wunderte sich der englische Schriftsteller C. H. Norman in London über das seltsame Betragen eines guten Freundes.
Er schrieb später [656]: "Die folgende Schilderung einiger Geschehnisse, die sich am Tage der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand und seiner Gemahlin der Herzogin Hohenburg, zutrugen, dürften dazu beitragen, den Widerstand zu erklären, der von gewisser Seite gegen eine Untersuchung der Anklage erhoben wurde: Österreich und Deutschland seien einzig und allein für den Weltkrieg verantwortlich.

Um die Geschichte verständlich zu machen, muß der Verfasser ein oder zwei Dinge erklären, die ihn persönlich angehen. Einige Jahre vor dem Krieg stand ich in enger Beziehung zu prominenten Mitgliedern der englischen sozialdemokratischen Federation, deren Führer der verstorbene Mr. H. M. Hyndman [657] war. Einer seiner Freunde war ein gewisser Adolph Smith, der unter dem Namen A. S. Headlingey für Zeitschriften schrieb. Dieser Herr Smith war bewandert in der auswärtigen Politik und war ebenfalls amtlicher Übersetzer des Internationalen Sozialisten-Kongresses, besser bekannt nach dem Krieg als zweite Internationale, um sie von der dritten Internationale oder kommunistischen Internationale zu unterscheiden. Als gemeinsame Besucher der Versammlungen des Zweigvereins der S. D. I. wurden A. Smith und der Verfasser miteinander bekannt.

Eines Tages im Jahre 1907 oder 1908 lud mich A. Smith ein, an einer in seinem Hause in Crookham Road, Fulham, stattfindenden Versammlung teilzunehmen. Zweck der Versammlung war, einen Londoner Zweigverein der berühmten französischen Freimaurer-Gesellschaft `Grand Orient de France´ zu gründen... Smith versuchte mich dadurch zu überreden, dem Projekt beizutreten, daß er mir mitteilte, die Mehrzahl der führenden Sozialisten und nicht-sozialistischen Politiker Frankreichs, Belgiens, Italiens und Spaniens seien Mitglieder des `Grand Orient´. Die einzige bemerkenswerte Ausnahme im Fall Frankreichs sei Jean Jaurès, dessen Ermordung als zweites Verbrechen dem Kriege vorausging. Einige Namen von Mitgliedern des `Grand Orient´ waren nach Smith: Delcassé, Poincaré, Briand und Millerand. Weitere Mitglieder waren Vandervelde, Miljukoff, Venizelos, Bissolatti und Mussolini, der sich nunmehr gegen die Freimaurerei wendet. Nachdem ich über die politischen Ziele des ´Grand Orient´ Erkundigungen eingezogen hatte, war ich der Gesellschaft gegenüber von tiefem Mißtrauen erfüllt, da ihr Ziel darin zu bestehen schien, den damaligen ´status quo´ in Europa zu stürzen. Dies sollte dadurch erreicht werden, daß ein Krieg angeregt wurde, in dessen Verlauf Frankreich sich den Rhein, Elsaß-Lothringen, Marokko usw., usw. aneignen sollte. Die Jahre vergingen und der Verfasser mußte zusehen, wie die Spannung zwischen England und Deutschland wuchs, was der Kriegspolitik des ´Grand Orient´ sehr zugute kam...

Dies waren die Vorgänge zu den eigenartigen Geschehnissen, die sich am Sonntag, dem 28. Juni, in London zutrugen und auf mich tiefen Eindruck machten, besonders im Lichte der späteren fürchterlichen Entwicklung, und die mich in meiner Haltung, als unerbittlicher Kriegsgegner, bekräftigten. Zu jener Zeit war Adolph Smith Mitglied des ´National Liberal Club´, in dem ich wohnte. Daß ich im Klub wohnte, war A. Smith bekannt. An jenem Sonntag verließ ich den Klub, um mich in mein Büro zu begeben, wo ich noch einige Arbeiten zu erledigen hatte. Als ich den Strand herunter ging, traf ich gerade vor dem Justizgebäude A. Smith, der etwas aufgeregt zu sein schien. Er kam auf mich zu und fragte mich, ob ich die Telegramm-Anschläge im Klub gelesen hätte, was ich bejahte. Darauf fragte er mich, ob aus Sarajewo Nachrichten eingetroffen seien. Nun muß ich gestehen, daß ich damals nicht viel von der Existenz dieser Stadt wußte, so daß ich ihn ziemlich erstaunt ansah und sagte: ´Welche Stadt?´ Er antwortete: ´Sarajewo, eine Stadt in Bosnien.´ Ich erwiderte, daß zur Zeit noch keine Nachrichten eingetroffen seien (es war ungefähr 11. 30 Uhr), worauf Smith sehr ärgerlich wurde und irgend etwas murmelte, was ähnlich klang wie ´Ist es möglich, daß sie einen Fehler gemacht haben?´ Durch seine Art aufmerksam geworden, fragte ich ihn, was er denn erwarte, er überhörte aber die Frage und ging weiter, während ich, etwas erstaunt über sein Benehmen, in mein Büro ging.

Der Leser wird sich vielleicht daran erinnern, daß das erste Attentat auf den Erzherzog ungefähr um 9.00 Uhr verübt wurde und fehlschlug. Das wichtigste an diesem Zwischenfall ist, daß Herr Smith scheinbar um 11.30 Uhr Nachrichten über die Ermordung, die noch nicht stattgefunden hatte, die aber zu der Zeit hätte geschehen sein können, erwartete. Die Nachricht traf tatsächlich im Laufe des Nachmittags in London ein und zwar über Athen und Paris, da die österreichische Zensur den üblichen Weg über Wien, Berlin und Amsterdam gesperrt hatte." [658]
Das Konto E

Der vorstehende Bericht ist in zweifacher Hinsicht aufschlußreich. Erstens scheint er unsere Beweisführung zu stützen, daß der französische "Grand Orient" in das Attentat auf Franz Ferdinand von Österreich verwickelt war. Zweitens erweitert er den Kreis der Eingeweihten über den Kanal hinweg nach England. Indem er sich auf britische Presseberichte bezieht schreibt Norman wörtlich an anderer Stelle: "Es besteht Grund zu der Annahme, daß Princip, der Mann, der nach dem mißglückten Bombenangriff die Pistole abfeuerte, sich einige Wochen vor dem Mord in London aufhielt, da er zweifellos in Paris gewesen ist." [659]


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